Die Midasgabe des 21. Jahrhunderts

Ich denke, ich bin nicht „reich“ — reich ist man, wenn man Geld für alles hat. Aber ich halte mich für „wohlhabend“ — ich muss mir keine Gedanken machen, wo ich heute nacht schlafe, wo ich morgen neue Schuhe herbekomme und was ich essen soll, und es bleibt noch ein wenig für den Luxus des Lebens übrig.

Und so wie’s aussieht, wird mein Arbeitgeber demnächst Kurzarbeit anmelden.

Geile Aussichten: Ich habe dann die Mittel und die Zeit, all die Urläube, Kurztripps und Wandertouren nachzuholen, die schon lange auf meinem Programm stehen. Zwischen den einzelnen Tripps besuche ich lauter Konzerte geiler Bands, die ich vorher nicht kannte, und lasse mich in Theateraufführungen und Shows blicken. Oder gehe auf zwei, drei enstpannte Seidla mit meinen Kumpels.

Was kann bei so einem Plan schon schiefgehen?

In der Twilight Zone

Heut mittag war ich mit der Prinzessin spazieren. Bei Kaiserwetter (auch wenn’s ein wenig windig war) sind wir zur Alten Veste rauf und haben dort mit bayerischem Trotz Corona gezeigt, wo der Bartel den Most holt und dort ein Bier getrunken, wie es sich gehört (und natürlich ohne Kontakt zum Rest der Welt).

Ist das das Ende der Welt oder der Zivilisation? Vermutlich nicht. Es ist eine Krise, sie wird eine große Zahl Todesopfer fordern, sie wird unser Leben durcheinanderwirbeln, aber dann, in einigen Wochen, Monaten oder einem oder zwei Jahren werden sich die Wogen glätten und die Gewohnheitstiere, die wir sind, werden ihr Leben wieder in ihren gewohnten Bahnen führen und sich ärgern, dass sie vergessen haben, Klopapier zu kaufen.

Doch im Moment stecken wir drin und wissen nicht, wie es weitergehen wird. Und das Surreale daran ist, dass unser Leben doch aussieht wie immer. Es scheint die Sonne, wir haben zu Essen und zu Trinken, haben ein trockenes Dach über dem Kopf und können abends Netflix gucken. Ich hätte immer erwartet, die „Krise“, wie sie denn auch aussehen würde, käme mit Bomben und Granaten, mit Überschwemmungen und Feuersbrünsten Menschen mit blutverschmierten Verbänden und Blaulicht und Sirenen. „With a bang, not with a whimper“. Das sie das nicht tut, ist sehr Twilight Zone-mäßig.

Das ist es wohl, das es den mit eher unaufdringlicher Intelligenz Begabten schwer macht, das Ausmaß von Corona zu verstehen. Die Gefahr um uns herum ist verborgen, unspürbar, und, solange die Intensivstationen die Opfer noch beherbergen können, auch unsichtbar. Es ist eine rein intellektuelle Gefahr um uns herum, schlimmer als Radioaktivität, vor der wir wenigstens durch das Prasseln eines Geigerzählers gewarnt werden würden. Wir müssen uns bewusst machen, dass die Welt eine andere geworden ist. Dass es eine Bedrohung gibt, deren Spuren wir erst eine Woche später lesen können, die sich uns auf die Schultern setzen kann, ohne dass wir es mitbekommen, die wir durch die Landschaft tragen — und die dann bei jemand ganz anderem zuschlägt. Jemandem, dessen Immunsystem eben schon kompromittiert ist.

Die Herausforderung ist, sich nicht einlullen zu lassen, die Beschaulichkeit und Behaglichkeit aufzugeben, und wachsam zu bleiben, ohne in Panik zu verfallen. Zeigen wir uns der Herausforderung gewachsen. Auch in der Twilight Zone.

Come Wander With Me

P.S. — Wir wären nicht in Franken, wenn das Restaurant Alte Veste nicht ein „Schäufele Drive-In“ anbieten würde. Noch bei Corona pflanzt der Franke die Hoffnung auf, indem er sie in Form einer Gabel in sein Schäufele rammt!

Lagerkoller

Was ich diesem Drecks-Corona-Virus übelnehme ist, dass ich nicht einfach raus in den Wald kann zu einer vernünftigen Wanderung, oder zum Urlaub mit Rucksack und Zelt in die Cairngorms in Schottland, obwohl da mein Infektionsrisiko wohl geringer als in der City wäre.

Naja, First-World-Problems…

„Charaktertest“

Ab heute nacht wird es eine Ausgangsbeschränkung in Bayern geben.

Meine ganzen tollen Bühnenprojekte sind jetzt mehr denn je gefährdet — mit höchster Wahrscheinlichkeit werden wir sie nicht wie geplant umsetzen können, und es mag sein, dass sie komplett gekippt werden müssen. Ich werde mich mit Händen und Füßen dagegen sträuben, aber… Je nun.

In Anbetracht derer, die die Krise viel härter trifft — ernsthaft Erkrankte, Kleingewerbetreibende, die jetzt vor dem Ruin stehen — sind das natürlich nur Peanuts. Aber gleichzeitig denke ich wie unser Ministerpräsident*), dass das auch ein Charaktertest ist. Auch für uns brauen sich die dunklen Wolken am Horizont ja bereits zusammen, und dass auch uns etwas Schlimmeres als verschobene Premieren treffen wird, dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.

Wir sind alle behütet aufgewachsen, und nur die Wenigstens von uns mussten sich jemals Sorgen über ihre Existenz machen. Vielleicht ist Corona ein Weckruf, aus unserer Behaglichkeit aufzuwachen und ein paar alte totgeglaubte Tugenden wieder hervorzukramen — die merkwürdige Mischung aus Eigenverantwortung und Solidarität. Improvisationstalent. Zähne zusammenbeißen, wenn’s wehtut. Sich ein Herz fassen und sich daran zu erinnern, was John Wayne gesagt hat:

Mut ist nicht, keine Angst zu haben. Mut ist, die Hosen gestrichen vollzuhaben und trotzdem den Gaul**) zu satteln.


*) von dem ich im Allgemeinen nicht viel halte, der sich aber wie auch unsere Kanzlerin in der Krise sehr wacker schlägt!

**) Natürlich hätte John Wayne nie von einem „Gaul“ gesprochen.