Mal was Neues

Die Arten und Weisen, Geschichten zu schreiben sind ja mannigfaltig — da gibt’s die extrem organisierten Autoren, die zuerst ausgefeilte Handlungsabläufe und Personencharakterisierungen entwerfen, dann einen ersten Draft schreiben, der eigentlich nur dazu dient, zu überprüfen, ob die Stränge sich zu einem Ganzen zusammenfügen, und erst danach mit dem eigentlichen Schreiben beginnen. Und es gibt die Improvisateure, die zu Beginn wenig mehr als eine vage Vorstellung haben, wovon sie eigentlich erzählen wollen, und die sich dann von ihrer Handlung und ihren Figuren treiben lassen und schauen, wo die Reise hingeht.

Zur letzteren Kategorie zählt wohl Stephen King (was man an den mE etwas an den Haaren herebeigezogenen Enden erkennt, hüstel), ich bin da eher im Mittelfeld und schreibe schon gerne ein Exposé, bevor ich mich an den eigentlichen Text mache, erlaube mir aber auch noch die eine oder andere Überraschung für mich beim Schreiben.

Nun bin ich derzeit mit meinen drei Episoden für die „Endstation“ beschäftigt, unserer Musikrevue für kommendes Jahr, wo wir eine Handvoll Geschichten um Leben und Tod erzählen und mit entsprechenden Songs untermalen wollen. Diese Szenen erfordern, wie ich spätestens bei „Frau Luna hat Besuch“ gelernt habe, ein anderes Herangehen als ein Roman oder auch ein Theaterstück: Wo ich dort mehr oder weniger beliebig viel Zeit habe, mal abzuschweifen oder das Tempo zu wechseln, um dem Werk einen Rhythmus zu geben, liegt in der Revue „in der Kürze die Würze“, und es ist viel wichtiger, sich um das Thema zu kümmern, die Informationen und die Pointe richtig zu setzen. Hier verzeiht die Bühne weniger als die Kurzgeschichte: Dort kann der Leser auch einmal innehalten und darüber nachdenken, was er gelesen hat (oder eine Stelle sogar noch einmal lesen), hier aber wird das Tempo durch das Spiel der Darsteller vorgegeben.

Umso wichtiger ist es also, jedes „Herumeiern“ zu vermeiden und das komplette Skript auf das Finale auszulegen. Und da habe ich mich nun dabei ertappt, dass ich bei der „Endstation“ begonnen habe — das war nicht einmal Absicht, sondern ist mir aus Gefühl unterlaufen — den Text von hinten zu schreiben. Mit anderen Worten, die ersten Sätze werden die letzten sein, und was zuerst auf dem Papier erschien, war das Finale, und jetzt arbeite ich mich absatzweise rückwärts zum Intro der Szene. Das funktioniert, weil ich den Faden ja schon einigermaßen ausgearbeitet im Kopf habe.

Ich bin selber sehr neugierig, wie das funktionieren wird. Im Moment glaube ich, die Szenen profitieren davon, weil jetzt jeder Absatz1 genau einen Zweck im Skript hat, nämlich, auf den nächsten zu führen. Die Texte werden dadurch erstaunlich kurz und auf den Punkt. Für jemand, der notorisch weitschweifig ist und zum Faseln neigt wie ich, kann das natürlich Gold wert sein.

Mal schauen, was dabei herauskommt.


  1. Streng genommen gibt es bei Prosa natürlich keine „Absätze“ im engeren Sinn. Was ich meine sind die Sätze, die sich jeweils um ein „Thema“ drehen. ↩︎

Wo ist die Geschichte?

Im Rahmen unseres nächsten Projekts betreibe ich gerade ein wenig Recherche.1 Dazu gehört auch, dass ich letztens Hamlet geschaut habe, und Sina hat nicht zu Unrecht betont, was für eine schwache Geschichte hinter dem berühmtesten Drama der Welt steckt.

Bei näherem Hindenken wurde mir bewusst, dass Hamlet damit nicht alleine dasteht, sondern dass Musicals und insbesondere Opern ähnlich funktionieren: Würden sich die Menschen dort auch nur ansatzweise vernünftig verhalten, wäre das Stück nach zehn Minuten vorbei, aber bekanntermaßen dauert eine Oper mindestens, bis alle tot sind. Das muss ja auch nicht schlecht sein, denn — und das ist die Take-Home-Message, die ich bekommen habe — die Geschichte ist bei dieser Sorte Produktion kein Selbstzweck, sondern ein „Substrat“, eine Matrix, die dazu dient, die Gefühle zu motivieren, die die Musik ausdrücken soll: Wenn nichts mit den Rollen geschieht, gibt es auch keinen Grund, in Gesang auszubrechen.

Von daher ist die Geschichte in diesen Fällen eine Reihe von „Steppping Stones“, anhand derer sich die Performance fortbewegt. Natürlich gilt das nicht in allen Fällen, ein Krimi ist ein Krimi, eine Komödie oft genug eine Komödie. Aber ich habe das Gefühl, dass Shakespeare beim Hamlet damit begonnen hat, viele clevere Monologe mit Einsichten in die menschliche Kondition zu schreiben, und erst als er damit fertig war, hat er sich eine Handlung ausgedacht, in deren offene Slots er diese „Kernelemente“ eingefügt hat. Und so wurde aus einer Reihe unzusammenhängender Gedichte ein Drama.

Eine interessante Erkenntnis, wie ich finde. Vor allem definiert sie meine Rolle als Autor neu.

  1. „Recherche“ ist, wie ich immer sage, ein großes Wort, das sich nicht wehren kann. Unterm Strich gucke ich Filme und lese in der Wikipedia. ↩︎

Kill Your Darling

Eine alte Weisheit besagt, dass die erste Idee oft nicht die Beste ist. Für Autoren gilt das natürlich umso mehr. Um euch eine Vorstellung davon zu geben:

Für die Musikrevue, die kommendes Jahr starten soll, wollen wir ein Programm von acht Spielszenen schreiben. Das „Autorentrio“, bestehend aus Verena, Pia und mir hat also erstmal digital die Köpfe zusammengesteckt und Ideen in einem großen Excel-Sheet gesammelt.

Da sind wir dann mal drübergegangen, haben die wenig brauchbaren Ideen herausgefiltert und die anderen „gepoolt“ um festzustellen, ob mehrere Geschichten sich um ein ähnliches Thema drehen würden. Damit sind wir dann in die nächste Runde gegangen und haben die Ideen noch einmal etwas verfeinert. Im Anschluss daran haben wir versucht, eine einigermaßen ausgewogene Mischung zu finden aus „freifliegendem Quatsch“, ernsthafen und tiefsinnigen Geschichten, freilich ohne zu deprimierend zu werden.

Nachdem wir auf diese Art und Weise eine Art „Rahmenprogramm“ fertig hatten und die potenziellen Storys an die einzelnen Autoren verteilt haben, sind wir noch einmal in Klausur gegangen und mit uns zu Rate gezogen: Kann ich aus der Idee wirklich was machen? Lässt sich das in fünf bis zehn Minuten auf die Bühne bringen, oder langweilt das die Leute nur?

Und so sind wir inzwischen bei einer Reihe von neun Geschichten gelandet (eine mehr als vorgesehen, aber so isses halt), für die wir jetzt erstmal Skripte schreiben wollen, um das Thema „Leben und Tod“ aus den verschiedensten Blickwinkeln zu behandeln. Vermutlich ist das noch nicht das letzte Wort, denn bisher waren Regie und Produktion nur am Rande eingebunden, und die werden auch noch ihre Vorstellungen zu der Revue haben, sei es, weil sie manche Dinge nur schlecht auf die Bühne bringen lassen, oder dass wir in unserer Selbstverliebtheit doch die eine oder andere Schwäche in den Geschichten übersehen haben. Das ist zumindest die Erfahrung aus Frau Luna

Und, wichtig dabei ist eben, nicht zu sehr an den eigenen Ideen zu hängen, sondern es einzusehen, wenn sie in einer Besprechung nicht so gut funktionieren, wie man sich das im eigenen Köpfchen vorgestellt hat. „Kill Your Darling“ ist dann das Motto der Stunde, und ich glaube, es unterscheidet die guten Autoren von den mittelmäßigen, dass sie in der Lage sind, in den sauren Apfel zu beißen und ihre Lieblinge über den Jordan zu schicken. Bei uns haben von cirka 70 mehr oder weniger detailliert ausgearbeiteten Ideen gerade mal neun überlebt.

Leere Blätter

Die XIII. Stunde ist abgespielt, wir hatten auch im Loft wieder ein praktisch ausverkauftes Haus, und der Rauch über dem Schlachtfeld klärt sich.

Was ihr oben seht, ist der treue Klemmhefter, den ich seit dreißig Jahren verwende, um darin Manuskripte durch die Gegend zu tragen — die Manuskripte der „Stunde“ habe ich in mein kleines Archiv gelegt, natürlich unterschrieben von allen Beteiligten, und nun geht die Arbeit los am nächsten Projekt. Aber auch wenn die Vorarbeiten laufen, ist das alles noch graue Theorie, und es gibt viele Ideen und Konzept, aber noch keine einzige Regieanweisung, kein einziger Satz des Dialogs.

Aber wir werden die Seiten dieses Buches füllen, und ich freue mich schon darauf, das wieder zusammen mit Verena und Pia zu machen, die mit von der Partie sein wollen!