Etwas über ein Jahr, nachdem für die letzte große Show1 der letzte Vorhang fiel, fast ein halbes Jahr, dass ich das Skript abgeliefert habe, drei Monate voller Proben, und vor kaum zwei Wochen hatten wir Premiere — und nun ist alles schon wieder Vergangenheit.
Plakate und Postkarten wandern zerknüllt in den Müll, die Requisiten sind bereits weitgehend verstaut, die Bühne ist jetzt kein Salon der Kaiserzeit mehr, sondern nur noch eine öde Ansammlung von schmucklosen Brettern, die darauf wartet, dass die nächste Theatersaat auf ihr aufgeht. Im Verlauf der Woche werden wir die Technik abbauen, und dann ist der Herr Leutnant endgültig Geschichte. Sina tippt nebenan die Abrechnung unserer Finanzen zusammen.
Wie schnell alles ging.
Das Theater hat einmal mehr seine Magie gewirkt. Ich durfte wieder einmal sehen, wie die dürren Worte auf Papier2 zum Leben erwachten, durfte erleben, wie die Gedanken meines Gehirns Form annahmen dank der Fantasie anderer — unter einer gleichzeitig ideenreichen und bedächtigen Regie und von Spielfreude erfüllten so talentierten Darstellern. Das habe ich gelernt, ein Autor muss sich von der Idee trennen, dass seine Vorstellungen sich 1:1 erfüllen würden. Es wird immer etwas anderes, sei es, weil Crew und Cast andere Vorstellungen haben, sei es, weil die äußeren Umstände es erfordern. Das Wichtige ist, dass das Ergebnis gut ist, dass die Zuschauer unterhalten, überrascht, amüsiert, belehrt, nachdenklich, „zerstreut und erbaut“ oder was auch immer sind, je nachdem, was das Ziel der Produktion ist. Und ich denke, das ist uns mit dem „Leutnant“ gelungen.
Ich bin gesegnet mit einem tollen Team von unserer Produzentin Sina, die gleichzeitig mein geduldiges Eheweib ist, über Stefanie, die Regie, über eine tolle Cast — ganz zuvorderst Verena, die wir mit ihrer ersten (nicht ganz einfachen…) Hauptrolle ins kalte Wasser geworfen haben, die sich aber bravourös freigeschwommen hat3 — hin zu dem ebenso engagierten, aber oft übersehenen „Tross“ drum herum: Frisur, Kostüme, Maske, Licht, Social Media, Assistenz, all die tausend Aufgaben im Hintergrund, die man undankbarer Weise dann nicht wahrnimmt, wenn sie reibungslos ablaufen.
Wir haben viel gelernt in den letzten 12 Monaten. Von den künstlerischen Aspekten will ich gar nicht sprechen, aber wir sind auch im Handwerk viel besser geworden: Dank „den Rednitzhembachern“ hatten wir ein um Klassen besseres Licht als bei den letzten Produktionen. Wir haben die Positionen besser definiert, und die Arbeit zwischen den Gewerken und der Assistenz läuft viel reibungsloser. Wir schätzen Aufwände besser ab und sind besser in der Planung geworden. Wir wissen, wo wir Plakate aufhängen und Postkarten verteilen dürfen, und sind so schneller damit, unsere PR zu machen. Wir machen weniger Fehler. Wir haben eine vernünftig strukturierte Datenablage (Betonung auf „eine“, und nicht zwei und nicht zwanzig). Nicht zuletzt der Autor hat gelernt, dass er sich nach Ablieferung des Skripts weitgehend heraushalten und allenfalls zwischendurch als Maskottchen auftauchen sollte.
Die Menschen schöpfen das Stück, aber das Stück verändert die Menschen. Ich hoffe, ich habe unseren Schauspielern (Ja, komm benutzen wir das Wort) oft und deutlich genug gesagt, wie begeistert ich von ihnen bin. In den Proben verfolgen zu können, wie sie sich im Laufe der Arbeit entwickeln, wie sie in die Rollen hineinschlüpfen und sich immer mehr erlauben, das in ihnen schlummernde Potenzial freizusetzen und Seiten ihres Charakters zu zeigen, was sie sich vorher nicht getraut hätten, und wie sie nicht zuletzt handwerkliche Tricks aufschnappen und einsetzen (Wie zeige ich Betroffenheit, und wann zeige ich sie?), das zu verfolgen ist faszinierend und lohnenswert zugleich. Ohne jemals Vater gewesen zu sein glaube ich, dass die Gefühle einander ähneln.
Wir konnten unsere Zuschauerzahlen trotz bangen Wartens gegenüber dem „Goldfisch“ fast verdoppeln.4 Sicher haben wir bessere PR gemacht, nicht zuletzt dank unserer immer eifrigen Propaganda– Social Media-Fee Michaela. Aber wir hatten diesmal auch zahlreiche Leute, die sich das Stück ein zweites Mal angeschaut haben, weil es ihnen so gefallen hat. Nicht zuletzt sind mehr Zuschauer gekommen, weil sie sich an unsere früheren Produktionen erinnert haben und sie sich einen weiteren gleichzeitig spannenden und entspannenden Abend verhofft haben — darf ich davon reden, dass wir unsere ersten „Fans“ haben?
Jetzt wird er wieder ebenso langatmig wie sentimental.
Wermutstropfen? Wir hatten keine richtige Dernierenparty. Da wir gebeten wurden, den Saal zügig für kommende Veranstaltungen freizumachen, haben wir gleich nach dem letzten Vorhang unsere geliehenen Habseligkeiten wieder zurückgegeben, und dann hat sich eine erschöpfte Cast, die am nächsten Tag wieder arbeiten muss, bald auf den Weg nach hause gemacht. Je nun, man kann wohl nicht alles haben.
Nach dem Stück ist vor dem Stück, wir stecken schon mittendrin in den Proben für Die XIII. Stunde. Die Truppe hat LightsDownLow ein stattliches Polster erwirtschaftet, mit dem wir in die Zukunft blicken können. Die Ideen fließen, und die kommende Woche ist bereits wieder voll mit Terminen, in denen wir besprechen wollen, wie 2024 für uns aussehen wird.
Ich fröne noch ein wenig dem Dernieren-Blues und bin gleichzeitig tief dankbar für diesen Haufen leicht irrer Enthusiasten, bei dem ich mein Zuhause gefunden habe.