Wo ist die Geschichte?

Im Rahmen unseres nächsten Projekts betreibe ich gerade ein wenig Recherche.1 Dazu gehört auch, dass ich letztens Hamlet geschaut habe, und Sina hat nicht zu Unrecht betont, was für eine schwache Geschichte hinter dem berühmtesten Drama der Welt steckt.

Bei näherem Hindenken wurde mir bewusst, dass Hamlet damit nicht alleine dasteht, sondern dass Musicals und insbesondere Opern ähnlich funktionieren: Würden sich die Menschen dort auch nur ansatzweise vernünftig verhalten, wäre das Stück nach zehn Minuten vorbei, aber bekanntermaßen dauert eine Oper mindestens, bis alle tot sind. Das muss ja auch nicht schlecht sein, denn — und das ist die Take-Home-Message, die ich bekommen habe — die Geschichte ist bei dieser Sorte Produktion kein Selbstzweck, sondern ein „Substrat“, eine Matrix, die dazu dient, die Gefühle zu motivieren, die die Musik ausdrücken soll: Wenn nichts mit den Rollen geschieht, gibt es auch keinen Grund, in Gesang auszubrechen.

Von daher ist die Geschichte in diesen Fällen eine Reihe von „Steppping Stones“, anhand derer sich die Performance fortbewegt. Natürlich gilt das nicht in allen Fällen, ein Krimi ist ein Krimi, eine Komödie oft genug eine Komödie. Aber ich habe das Gefühl, dass Shakespeare beim Hamlet damit begonnen hat, viele clevere Monologe mit Einsichten in die menschliche Kondition zu schreiben, und erst als er damit fertig war, hat er sich eine Handlung ausgedacht, in deren offene Slots er diese „Kernelemente“ eingefügt hat. Und so wurde aus einer Reihe unzusammenhängender Gedichte ein Drama.

Eine interessante Erkenntnis, wie ich finde. Vor allem definiert sie meine Rolle als Autor neu.

  1. „Recherche“ ist, wie ich immer sage, ein großes Wort, das sich nicht wehren kann. Unterm Strich gucke ich Filme und lese in der Wikipedia. ↩︎

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